Über den Misserfolg und das Scheitern – ein unangenehmes Thema?
Thomas Klauder

 

Wenn heute vielversprechende Nachwuchs-Führungskräfte oder junge Menschen, die eine Vertriebs- oder Marketing-Laufbahn einschlagen wollen, direkt von der Hochschule weg rekrutiert werden, dann bekommen sie eine großartige Sache leider nur noch ganz selten:  Ein Trainee-Programm. In den Neunzigern stand es bei Unternehmen und Berufseinsteigern gleichermaßen hoch im Kurs. Ein 6-12-monatiges Curriculum mit allen Schikanen: Unter anderem Vertriebs- und Verhandlungstraining, Rhetorik, Präsentation, intensive Produktschulungen und meistens auch eine Phase, die besonders berüchtigt war: Das Feldtraining! Der angehende Manager musste über einen Zeitraum von 4–6 Wochen einfache Produkte oder Dienstleistungen seines Unternehmens quasi an der Haustür verkaufen. Eine wundervolle Erfahrung und ein unglaublich gutes Rüstzeug für eine folgende Karriere.

Drehen wir also die Zeit um 20 Jahre zurück: Da stand er/sie nun, mit akademischem Know-how vom Feinsten, ergänzt durch zusätzliche brandaktuelle Erkenntnisse des Unternehmens, das Gehirn ganz frisch gewaschen – und mit dem unerschütterlichen Selbstvertrauen des jungen Menschen, der sich anschickt, die Welt zu erobern. Strotzend vor Kraft und Sendungsbewusstsein klopfte er/sie an einem Vormittag an 20 Firmentore des Industriegebiets, in dem man ihn/sie ausgesetzt hatte.

Es ist keine Überraschung, dass die folgende Ernüchterung rabiat sein musste: 18 Tore wurden direkt und mit Geräusch zugeschlagen, an zwei Türen nahm man freundlich die Visitenkarte entgegen. Und das war erst ein halber Tag.  So verging die Woche bis Freitag und die Ausbeute war sehr dürftig. Ich möchte nur am Rande erwähnen, dass freitags der Vorgesetzte mit großem Unverständnis fragte, wo denn die erzielten Umsätze seien…

Das Resultat der Woche: Gefühlte 500 Niederlagen und ein oder zwei kleine Erfolgserlebnisse. Das Los des Verkäufers? Nein, vielmehr das Los all derer, die gestalten, wagen, entscheiden und führen müssen … dürfen … wollen …

Wir kommen wieder in die Gegenwart. Wir erblicken unsere Welt so wie sie heute ist und vielleicht kommt uns der Gedanke, dass das, was wir sehen, das Wenige ist, was gelungen ist. Was wir nicht mehr sehen, ist die überwältigende Anzahl der Projekte, die gescheitert sind, nicht erfolgreich waren und deshalb einfach nicht mehr sichtbar sind. So gesehen, gehört das Scheitern vieler Projekte zwangsläufig zum Erfolg einiger weniger. Ein Manager, der viele Projekte anstößt, ist es gewohnt, dass viele eben nicht gelingen. Seine Energie und seine nicht-monetäre Belohnung zieht er aus den Erfolgserlebnissen. Mit dieser Kraft verdaut er auch das Scheitern. Es gehört dazu! Interessanterweise tragen Systeme wie Unternehmen massiv dazu bei, dass aller Misserfolg unsichtbar wird, verschwindet oder niemals besprochen wird – Thema für einen anderen Blog …

Das alles mögen Binsenweisheiten sein. Aber warum fällt es uns dann so schwer, über Dinge zu berichten, die nicht gelungen sind? Warum neigen wir dazu, immer nur die Erfolge darzustellen, so, als gäbe es kein Scheitern?

Ihren Höhepunkt finden diese Prinzipien, wenn ein Mensch seinen Job verloren hat. Der Mitarbeiter/Manager, der sein Selbstwertgefühl und sein Prestige daraus gewonnen hat, erfolgreich eine Position, einen Titel, ein Budget oder eine Führungsspanne zu repräsentieren, fühlt sich jetzt gescheitert. Der Personalberater begegnet hier einer sehr sensiblen Situation. Wer Loriots „Papa ante Portas“ gesehen hat, speziell die Szene, in der Herr Lohse seiner Familie seine Zwangsverrentung präsentiert, weiß, was hier gemeint ist. Wie schön, wenn Herr Lohse so schwülstig wie beklommen stammelt, dass der Generaldirektor und er „gemeinsam beschlossen hätten“, dass seine „künftigen Aufgaben mehr im privaten Bereich“ angesiedelt sein sollten. Zuvor hatte Herr Lohse als Einkaufsdirektor einen 50-Jahres-Vorrat an Radiergummis beschafft – wegen eines unwiderstehlichen Mengenrabattes. Davon erzählt er natürlich kein Wort…

Herr Lohse hätte seine Beklemmung leicht lösen können, beispielsweise indem er sagt: „Ich habe einen Fehler gemacht und musste die Konsequenzen tragen.“ Die Erleichterung, die er dadurch erfahren hätte, wäre gigantisch gewesen. Und es gab keinen Grund, der dagegen sprach sich so zu verhalten, denn prinzipiell darf er annehmen, dass er sich seiner Familie anvertrauen kann. Dass dann die Szene weniger unterhaltsam gewesen wäre, steht auf einem anderen Blatt.

Das Prinzip ist dasselbe im Interview beim Personalberater oder beim potentiellen Arbeitgeber. Es ist stärker, mit Scheitern und Misserfolgen offen umzugehen, erst recht, wenn man auch seine Lerneffekte präsentieren kann. Unschönes zu verbrämen oder zu verstecken, fällt immer auf und spricht gegen den Kandidaten – aber auch gegen das Unternehmen. Dafür sorgt schon die berühmte Bauchfrequenz, auf der wir klarer kommunizieren als auf der optischen und akustischen Ebene. Fehler eingestehen ist stark -immer perfekt und erfolgreich sein ist unwahrscheinlich, unmenschlich und deswegen schwach. Niemand weiß das besser als der Manager, der den Kandidaten einstellen möchte. Er hat an sich und anderen schon genug Scheitern und Misserfolg gesehen, um zu wissen, dass es ohne diese nicht geht – dass es aber darauf ankommt, wie man damit umgeht!

Der Personalberater wird diese Situation sehr gut kennen. Er muss in der Lage sein, mit dem Mandanten und dem Kandidaten diese menschlich schwierigen Klippen zu umschiffen. Wenn Sie ihm trauen, dann seien Sie offen – und wenn sie ihm nicht trauen, dann arbeiten Sie erst gar nicht mit ihm! Dann hat auch er wieder einen Misserfolg, der ihn hoffentlich besser macht.

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