Vertriebslegenden, Teil 1: Der „Hunter“
Thomas Klauder

 

Seit mittlerweile fast drei Jahrzehnten mit Themen des Vertriebes befasst, hat der Begriff des „Hunters“ bei mir schon immer einen schalen Geschmack hinterlassen. Irgendetwas stimmte für mich dabei nicht, und ich habe mich gefragt, ob ich der einzige bin, der so denkt – während alle Welt um mich herum zu diesem Thema einig war: Der Hunter ist der König der Verkäufer, er ruft „kalt“ an, bekommt seinen Termin mit dem Entscheider und verkauft dem dortigen Eskimo einen Kühlschrank. Solche Verkäufer habe ich einst als Vertriebsmanager gesucht, wir haben mit der Personalentwicklung Menschen auf dieses Programm trainiert, wir haben sogar Wettbewerbe ausgeschrieben, um dieses Verhalten zu honorieren.

Heute, mit einer gewissen Distanz und einem Blick in den Rückspiegel auf eine ganze Reihe eigener Vertriebserfolge behaupte ich: Nonsens! Diesen Verkäufer gibt es praktisch nicht (einige wenige Ausnahmen mögen auch hier die Regel bestätigen), diesen Verkäufer will niemand empfangen, und wer als Verkäufer diese Rolle spielt, ist dabei nicht glücklich, folglich nicht nachhaltig erfolgreich!

Starker Tobak? Nein! Bitte begleiten Sie mich zum Realitätscheck…

Neulich beim Mandanten: es wird ein Außendienstmitarbeiter für den Vertrieb einer komplexen technischen Dienstleistung gesucht.

VL (Vertriebsleiter): „Wir wollen einen Kandidaten, der sich nicht zu gut ist, auch mal 40-60 Cold Calls am Tag zu machen, der nicht locker lässt, bis er den Auftrag hat; einen Wadenbeißer, der, wenn er am Haupteingang rausgeworfen wird, durch den Hintereingang wieder reinschlüpft; einer, der dem Kunden genau erklärt, was er braucht und auch mal mit Druck zur Unterschrift führt…!“

PB (Personalberater): „OK, können wir für Sie suchen! Eine Frage nebenbei: Wie möchten Sie im weiteren Projektverlauf mit uns arbeiten und wie werden wir über neue Mandate sprechen können?“

VL: „Gut, dass Sie fragen! Natürlich möchte ich, dass Sie und Ihre Mitarbeiter unsere Anforderungen genau verstehen, Sie müssen sich auf unseren Rhythmus und unseren Kommunikationsstil komplett einschwingen, Sie müssen begreifen, wie wir uns in unserem Markt bewegen und welche Faktoren uns erfolgreich machen, dann kommen wir ins Geschäft. Das Tempo dabei bestimmen wir. Achja, und fragen Sie bloß nicht dauernd nach, wir antworten ohnehin nur dann, wenn wir es für angebracht halten!“

PB: „Soll ich nicht in Ihre Waden beißen?“

VL: “…“

 

Natürlich ist diese Episode völlig frei erfunden, sie ist überspitzt dargestellt, aber sehr typisch in vielen Vertriebsorganisationen.

Bezeichnend dabei ist die Widersprüchlichkeit: wir denken, Verkaufen ist eine Aktivität, die von unserer Seite getrieben wird, und der die andere Seite quasi passiv folgt. Wohingegen, wenn wir einkaufen, möchten wir bestmöglichen Service, größtmögliche Individualität und Flexibilität in der Lösung – und dabei wollen wir jederzeit selbst aktiv und niemals fremdbestimmt sein. Welch eine grandiose Verachtung des potentiellen Kunden, welch eine Überheblichkeit! Wir wissen alle aus der Kinderstube: „Was Du nicht willst, das man Dir tu’….“

Aus der Perspektive des Verkäufers gesehen – wer macht denn wirklich gerne Cold Calls? Sie sind sicher eine gute Schule für das Leben, aber niemand kann damit langfristig glücklich sein. Also delegieren wir diese Aktivität in ein Call Center, wo das Menschen für sehr wenig Geld und mit sehr wenig Freude tun. Was dann beim Kunden ankommt, kennen wir alle nur zu gut, das will auch niemand haben – tragisch!

Gehen wir davon aus, es ist jetzt ein Termin gemacht, der Hunter sitzt bei seiner potentiellen Beute. Die Situation ist klar: der eine möchte sein Produkt verkaufen, der andere möchte seine geschäftlichen Ziele erreichen. Durch vielfache gemachte Erfahrung ist der Kunde misstrauisch, unterstellt einzig und allein Abschlussinteresse, das Gespräch ist von vorne herein belastet, der Prozess des Einkaufens wird als schmerzhaftes notwendiges Übel empfunden.

Weiter im Prozess; der Großkunde ist geknackt, die Lösung wird implementiert. Der Hunter verabschiedet sich – auf zum nächsten! Verantwortung für das Verkaufte? Der Hunter? Die Firma? Wie fühlt sich der Entscheider jetzt, wenn er Beute des Jägers geworden ist?

Der Glaube an den Hunter ist der Glaube an die eigene Überlegenheit, die Überzeugung, dass man den Kunden dominieren und manipulieren muss. Und auf dem Weg dahin auch der Glaube an die Minderwertigkeit des eigenen Mitarbeiters, den man mit Druck und Gewaltsamkeit dazu zwingt, das Prinzip auf seine Kunden anzuwenden. Ein grausames Weltbild.

Nicht nur in der Personalberatung gilt für uns als Gewissheit, dass „es passen muss“, inhaltlich wie auf der Beziehungsebene. Was harmoniert, ist erfolgreich! Gerade im B2B ist der Verkäufer sowohl im Neugeschäft als auch im Bestandsgeschäft, am erfolgreichsten, der die Situation des Kunden am besten versteht, seine Ziele, seinen Stil, seine Werte. Der, dem es gelingt, den Kunden einkaufen zu lassen, statt ihm etwas zu verkaufen, dem man abnimmt, dass er Verantwortung trägt – sprich: dem integren Geschäftspartner! Das zu sein ist allerdings eine gesamtunternehmerische Aufgabe. Man kann sie nicht einfach an einen delegieren, den man „Hunter“ nennt.

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