Vertriebslegenden, Teil 2: „Top-Verkäufer mit Top-Kontakten und Top-Kunden“
>Thomas Klauder

 

Der ewige Lieblings-Traum aller klassischen Vertriebschefs: Vom Wettbewerber den besten Verkäufer abwerben, mit ihm gleich seine fettesten Kunden ins eigene Portfolio ziehen und, im willkommenen Nebeneffekt, gleich noch den Wettbewerber schwächen – „Tschakaaaa!“. Von „belastbaren Beziehungen“ wird dann gesprochen, vom „Rolodex voller C-Level Business Cards“ und von Verkäufern, denen die Kunden einfach überallhin folgen.

Während ich den obigen Absatz noch mal lese, muss ich den Leser schon um Verzeihung bitten, falls ich den Begriff „klassisch“ in seiner differenzierten Wahrnehmung missbraucht habe – besser wären vielleicht gewesen: überoptimistisch, ein bisschen naiv und überaus selbstbewusst …

Es möge jeder, der erfolgreiche Verkäufer und deren Kunden kennt, analysieren und feststellen, dass eine nachhaltig erfolgreiche Geschäftsbeziehung nicht dem Topf-Deckel-Prinzip folgt. Um in diesem Bild zu bleiben, stelle man sich anstelle des Topfes besser einen Polyeder mit austauschbaren Flächen vor. Nicht nur Verkäufer und Kunde sind als Beziehung relevant, unverzichtbar sind auch die Passungen von Produkt, Dienstleistung, Unternehmenskultur, -strategie und -ausrichtung, Kompatibilität der Beziehungen auf allen hierarchischen Ebenen, Wechselwirkungen mit anderen Geschäftspartnern, um nur einige wenige zu nennen …

Die Beziehung eines Verkäufers zu seinem Kunden ist nie per se, sondern immer nur im Kontext belastbar, also wenn das Umfeld stimmt. Manchmal kann der Wechsel zum Wettbewerb für alle Spieler geradezu kontraproduktiv sein. Selbst wenn die Kundenbeziehung des Verkäufers ganz ausgezeichnet ist, ist ein grandioses Scheitern durchaus möglich, wenn eine der oben erwähnten weiteren Rahmenbedingungen nicht passt.

Die Praxis zeigt, dass ein Wechsel des Kunden mit dem Verkäufer genauso wahrscheinlich ist wie die Treue zweier Unternehmen zueinander – völlig unabhängig vom Verkäufer. Mal ist der  Verkäufer austauschbar, mal der Lieferant, mal der Kunde, und auch mal alle oder keiner davon. Bindungen entstehen eher durch Sachzwänge, Technologie, Verträge und andere Determinanten, je größer die Unternehmen und die Geschäftsvolumina, desto stärker sind diese Faktoren, desto schwächer die Verkäuferrolle.

Will ich, der ich selbst leidenschaftlicher Verkäufer bin, jetzt die Rolle des Vertriebes zur Bedeutungslosigkeit herabqualifizieren? Sicher nicht! Der Vertrieb ist eines der wichtigsten Instrumente zur Sicherstellung des Unternehmenserfolges; er öffnet Türen, hält geschickt Geschäftsbeziehungen aufrecht, bringt Menschen zusammen, zeigt Chancen und Risiken. Er ist Außenminister und Botschafter, Visionär und Projektmanager, Verantwortungsträger und Prügelknabe in einer Person. Er ist das Öl im Getriebe und der Katalysator der Prozesse – er hat höchsten Respekt verdient.

Jedoch, die eingangs formulierte Erwartung an ihn zu haben, überfordert alle Beteiligten, sie ist recht eindimensional – und führt in jedem Fall zur Enttäuschung. Alleine entscheidend oder allmächtig ist der Verkäufer nicht! Erfolgreiche Vertriebsmenschen sind im Kontext erfolgreich. Stimmt der Kontext nicht, ist der Erfolg geringer.

Da allerdings jedem, der Vertriebsleute führt, ein hoher Optimismus und ein noch höherer Enthusiasmus gegönnt seien, ist auch eine gute Personalberatung gefordert, die herzlich gerne in der Beurteilung der Gesamtsituation mitwirkt.

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