Wir wollen uns mit aller Härte ehrlich machen; wir sind alle Menschen, haben Schubladen, Vorurteile, „Bias“*).
Ich erlebe es in jedem Projekt; Personalentscheider haben Befindlichkeiten. Die Klassiker:
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Zu häufige Wechsel
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Frau unter 40 J. ohne Kinder
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Lange Verweildauer im Großkonzern
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Menschen in Richtung Rentenalter
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Jemand kommt aus einer Firma, deren Kultur man nicht mag
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Migrationshintergrund, mehr oder weniger spezifisch
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Lebensalter allgemein
Und es gibt noch einige mehr. Kürzlich neu dazugelernt: „Wie, die Frau ist 58? Da geht ihr Mann demnächst in Rente und sie gleich mit…“ Ich dankte meinem Kunden aufrichtig für das Learning und habe es ein paar Wochen später schon erlebt, welch Ironie des Schicksals.
Natürlich wird es nicht immer so offen ausgesprochen, vielmehr werden die Befindlichkeiten verbrämt, hinter pseudo-rationalen Argumenten versteckt, und mit Sprachregeln eingehegt. Man kann darüber diskutieren, mit idealistischer Leidenschaft und kühler Rationalität, erhobenem Zeigefinger, Appell an Gerechtigkeit, Chancendenken, DEI und Führungstheorien.
Es nützt aber nichts, die Schubladen und Bias gelten. Wir müssen froh sein, wenn wir sie kennen und wir müssen mit ihnen umgehen.
Die Perspektive des Kandidaten:
Interessanterweise hat jeder Mensch irgendetwas, weswegen einige Entscheider ihn pauschal ablehnen. Das heißt, von den Positionen, die zunächst inhaltlich passen, werden in einigen Fällen wegen dieser Schubladen keine Gespräche geführt. Als Kandidaten muss man damit leben.
Die Perspektive des Mandanten:
Stellt man einen Menschen auch gegen die eigene Überzeugung ein, ist das Risiko, dass es scheitert, ziemlich groß („…war ja klar, dass der es bei uns nicht ernst nimmt, hat ja vorher schon häufiger gewechselt…“ – „Ich habe es ja gleich gesagt“). Und vielleicht liegt der Grund des Scheiterns ja gerade in der argwöhnischen Beobachtung?
Um unseren Job als Personalberater gut machen zu können, brauchen wir maximale Ehrlichkeit und Transparenz. Wenn es Schubladen gibt, müssen wir sie kennen, dann können wir sie bedienen. Man kann mit allem umgehen, sofern man es kennt. Die Wertung in übel oder nicht muss dabei in den Hintergrund treten.
Ich oute mich: Ich habe tatsächlich eine gewisse Skepsis gegen sehr lange Verweildauern in Konzernen.
Habt Ihr einen Bias?
*) Über die Pluralform von Bias wird gestritten, während sie in den Regelwerken „Bias“ lautet, findet man sehr oft auch die Formen „Biases“ und „Biasse“.